DER BUECHEHOF TEIL 3
Die Ausbildung und den Wohnort frei wählen, darüber bestimmen, was man täglich essen möchte, in der Freizeit spontan irgendwo hinfahren, Beziehungen leben – diese Freiheiten sind für die meisten Menschen in unserer Gesellschaft selbstverständlich. Wie aber lebt es sich, wenn man in seinen Gestaltungsmöglichkeiten zum Teil stark eingeschränkt ist, etwa aufgrund einer geistigen Behinderung? In der April- und der Augustausgabe des 3 Rosenblatts wurden bereits zwei Arbeitsbereiche des Buechehofs vorgestellt: die Gärtnerei und die Landwirtschaft. Nun möchten wir Ihnen einen kleinen Einblick bieten, was am Wochenende und nach Feierabend so auf dem Hof geschieht. Wie leben die Bewohnerinnen und Bewohner des Buechehofs privat? Und wie sieht die Arbeit der Betreuerinnen und Betreuer aus?
Ausserhalb der Arbeitszeiten spielt sich das Leben auf dem Buechehof in den drei grossen Wohngruppen«Linde», «Lärche» und «Eiche», sowie auf der 2013 neu konzipierten Gruppe «Akazie» ab. Zu dieser Gruppe gehört eine Wohnschule, in der an einem Tag pro Woche lebenspraktische Dinge wie Kochen und Waschen vermittelt werden. Die drei Bewohnerinnen sollen damit gezielt auf ein eigenständigeres Leben vorbereitet werden. Insgesamt wohnen 24 betreute Menschen auf dem Buechehof.
Die 21-jährige Irina De Carolis von der Gruppe Akazie erklärt, wie es ihr auf dem Buechehof geht: «Das hier ist für mich ein tolles Zuhause. Mir gefällt es so gut, dass ich mich wohlfühle.» Wichtig sei für sie, ein eigenes Zimmer zu haben, denn: «Ich bin jetzt schon etwas älter und brauche manchmal Ruhe für meine Nerven.» Auch Samuel Studer, der auf dem Buechehof eine kleine Einzimmerwohnung bewohnt und für Frühstück und Abendessen der Gruppe Linde angeschlossen ist, schätzt seinen privaten Rückzugsort: «Ich habe es gern, in meinem Zimmer Musik hören zu können, wann ich will. Ich höre gerne Handörgeli, Schlager, Country und Rock. Ich brauche das.»
Das Zuhause ist also nicht blosser Wohnraum, sondern ein Ort, an dem man sich erholt, seine Persönlichkeit ganz privat auslebt, sich pflegt und sein Leben plant. In einer sozialtherapeutischen Einrichtung wie dem Buechehof werden die Bewohner dabei von den Mitarbeitenden unterstützt. «In den letzten Jahrzehnten hat sich ein grosser Wandel vollzogen, weg von einer Betreuung nach dem Motto ‹sauber und satt› hin zu grösstmöglicher Autonomie der Klienten», sagt Gruppenleiterin Rosemarie Santoro, die auf ein rund 45-jähriges Berufsleben als Sozialpädagogin zurückblickt. Auch die Fokussierung auf die Kompetenzen anstatt auf die Defizite der Betreuten ist zentral geworden. Die Themen Inklusion (das Miteinbezogensein, das gesellschaftliche Miteinander), Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt (Job-Coaching) und Teil habe an der eigenen Entwicklungsgestaltung bieten für Betreute und Betreuer gleichermassen spannende Perspektiven.
Die Bewohner bei diesen Prozessen zu unterstützen, ist ein wichtiges Ziel der Betreuung auf dem Buechehof. Sie sollen ihre eigenen Stärken entdecken und ausbauen können. Voraussetzung für das Erreichen dieses Ziels ist, dass der betreute Mensch Vertrauen zu den Mitarbeitenden und seinem Umfeld hat. Verlässliche Beziehungen sind die Basis dafür, dass Menschen sich frei entwickeln können – auch und gerade dort, wo sie sich ihre Lebensweise nicht ausgesucht haben. «Ich möchte dazu beitragen, dass sie sich in der Gruppe aufgehoben fühlen und hier ein echtes Daheim haben. Alle Bedürfnisse und Sorgen sollen Platz haben», sagt Rosemarie Santoro. Jörg Küttel lebt und arbeitet seit fünf Jahren auf dem Buechehof. Er beschreibt sein Verhältnis zu den Wohnbereichsmitarbeitenden folgendermassen: «Sie sind für mich wie Kollegen. Da ist eine Freundschaft.» Dass die Gestaltung der Beziehung zwischen Betreuten und Betreuern mit einer grossen Verantwortung verbunden ist, ergibt sich schon alleine aus dem Abhängigkeitsverhältnis. Brauchte es daher nicht eher eine professionelle Distanz der «Dienstleister» zu ihren «Klienten»? «Dadurch, dass die Betreuten auf Unterstützung angewiesen sind, bin ich als Betreuer ein grosser Teil ihrer Lebenssituation. Gerade deswegen will ich den Bewohnern auch eine familienähnliche Struktur bieten, in der vertrauensvolle Beziehungen möglich sind. Das beinhaltet, dass man dem anderen Halt gibt, ihm aber auch Freiräume für eine individuelle Lebensgestaltung lässt, sagt Urs Zihlmann, Sozialpädagoge und Leiter der Gruppe Lärche.
Halt geben sollen nicht nur die gelebte Gemeinschaft, sondern auch die Rhythmen des Jahreslaufs und mit ihnen die Jahresfeste. «Feste wie Ostern, Johanni, Michaeli und Weihnachten sind für mich Momente des Innehaltens im Alltag. Sie sind nicht zielgerichtet, sondern bedeuten vor allem ein Nachdenken darüber, wo man im Leben steht. Auch wenn die Feste nach aussen gerichtet sind, führen sie doch nach innen. Das ist für mich wertvoll», erklärt Urs Zihlmann.
Beim Sprung über das Johanni-Feuer oder bei den Kraft- und Mutspielen an Michaeli, wie etwa einem Balanceakt auf der Slackline, loten die Betreuten auch ihre eigenen Fähigkeiten aus. Jährlich wiederkehrende Lieder und Traditionen geben den Festen ihren Rahmen.
Halt bietende Rituale werden auch täglich in den Gruppen gepflegt, wie Wohnbereichsmitarbeiterin Rita Hegglin erklärt: «Wir beginnen den Tag jeweils mit einem Morgenkreis in der Gruppe und beenden ihn mit einem Abendkreis. Hier darf jeder den anderen seine Befindlichkeit mitteilen und es werden Informationen zu besonderen Ereignissen am Tag ausgetauscht. Abends blickt man zurück auf das, was man tagsüber erlebt hat.» Die Morgen- und Abendfeier bildet damit eine Art Klammer um den Tag, gibt Halt und Struktur.
Dass auf den Gruppen nicht immer Harmonie und Frieden herrschen, wird sich jeder vorstellen können. Wo bis zu sieben Persönlichkeiten zusammenleben, kommt es zwangsläufig auch zu Reibereien: «Manchmal komme ich mit denen von der Linde nicht so gut aus. Das können manche nicht verleiden, dass ich ab und zu schreie», sagt Sämi Studer, der das Tourette-Syndrom hat und sehr offen damit umgeht.
Freude und Traurigkeit liegen bei einigen Bewohnern manchmal besonders nah beieinander. Ihr emotional oft recht spontanes Verhalten fordert von den Betreuern (und den Mitbewohnern) Mitgefühl und Flexibilität. Eine gute Psychohygiene sei in diesem Job daher besonders wichtig, wie FaBe-Auszubildender Sandor Wangart erklärt: «Man muss hier immer präsent und innerlich klar sein, sonst bekommt man das eigene Verhalten umgehend von den Bewohnern gespiegelt. Sie zeigen einem sofort auf, wenn man gedanklich nicht bei ihnen ist oder etwas nicht ernst meint.» Der ehemalige Lostorfer Garagist, der nach Jahren der Selbstständigkeit eine berufliche Veränderung suchte, fing 2013 als Praktikant in der Gruppe Linde an. Er erinnert sich: «Zuerst habe ich im Garten geschnuppert. Ich konnte mir nicht vorstellen, in einer Wohngruppe zu arbeiten. Als eine Stelle bei der Linde frei wurde, habe ich es dann aber doch versucht und war begeistert: Die Leute dort sind super und haben mich direkt angenommen! Ich wurde sofort in diese – damals für mich völlig neue – Welt reingezogen.»
Gleich mehrere Mitarbeitende berichteten in den Interviews für diesen Artikel, wie viel ihnen ihr Beruf gibt. «Diese Offenheit und Herzlichkeit, die einem hier entgegenstrahlt, habe ich in all meinen Berufsjahren noch nicht erlebt», sagt Rosemarie Santoro. «Ich führe das auch auf die sinnvollen Arbeiten zurück, die die Betreuten hier verrichten dürfen. Dass das auch therapeutisch wertvoll ist, sehen wir, wenn die Betreuten nach der Arbeit wieder in ihre Wohngruppen kommen. Sie kommen ausgefüllt und befriedigt zurück, weil sie spüren, dass ihre Arbeit einen Sinn ergibt.» Für die Gruppenleiterin der Eiche liegt es auf der Hand, dass dies zu mehr Lebensfreude führt. Den Anteil, den auch eine gute Wohnsituation daran hat, will sie aber dennoch nicht geringgeschätzt wissen: «Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen sähen, welch wertvolle Arbeit auf den Gruppen geleistet wird.»
Weihnachtsspiel: 20. Dezember 2015 Beginn 16.00 Uhr, Eintritt frei
Der Wohnbereich des Buechehofs in Kürze
– 24 Wohnplätze verteilt auf drei grosse Wohngruppen (Linde, Lärche und Eiche) und die 2013 neu konzipierte Gruppe Akazie (ehemals Studio) mit angeschlossener Wohnschule
– 24-Stunden-Betreuung (inkl. Nachtpikett vor Ort) an 365 Tagen im Jahr, gewährleistet durch 30 Mitarbeitende (inkl. Praktikanten und Auszubildende/1600 Stellenprozente)
– Fachlicher Hintergrund der Wohnbereichsmitarbeitenden: Sozialpädagogen und Fachpersonen Betreuung (FaBe), aber auch Quereinsteiger aus verschiedenen anderen Berufen
– Aufgabenspektrum der Mitarbeitenden: von der Unterstützung der Bewohner bei der Körperpflege und bei Alltagstätigkeiten bis hin zur Begleitung bei der persönlichen Entwicklung oder Hilfestellung in Krisensituationen
Weitere Informationen: www.buechehof.ch