Von Carlo Egger
Der Kalender zeigte das Jahr 1897. Damals fragte sich Virginia, ein acht jähriges Mädchen aus Manhattan, ob es wohl den Weihnachtsmann wirklich gäbe. Sie selbst hatte ihre Zweifel, da Freunde ihr erzählt hatten, dass er nicht existiere.
Schliesslich wandte sie sich an ihren Vater. Dieser antwortete ihr ausweichend. Doch Virginia wollte die Wahrheit wissen! Somit hatte sie, unter der Einwilligung des Vaters, die «New York Sun» angeschrieben. Die «New York Sun» war zu jener Zeit eine der bedeutendsten New Yorker Zeitungen.
Im Glauben, dass eine Zeitung immer die Wahrheit veröffentlichen muss, schrieb sie also folgenden Brief an die Redaktion:
«Lieber Redakteur. Ich bin acht Jahre alt. Einige meiner Freunde sagen, es gibt keinen Weihnachtsmann. Papa sagt, was in der ‹Sun› steht, ist immer wahr. Bitte sagen Sie mir: Gibt es einen Weihnachtsmann?»
Der Chefredakteur der «Sun» war stark gerührt von Virginias Brief. Es war ihm wichtig, das Mädchen nicht zu enttäuschen. So dachte er daran, einen erfahrenen Journalisten Namens Francis P. Church zu beauftragen, eine Antwort zu entwerfen, welche in der nächsten Ausgabe erscheinen sollte.
Gedacht, getan. Die «New York Sun» veröffentlichte also einen Zeitungsartikel mit dem Titel «Gibt es einen Weihnachtsmann?».
Church erklärte in dem Artikel:
«Liebe Virginia, deine Freunde liegen falsch. Sie begehen den Fehler, nur diejenigen Dinge zu glauben, welche sie sehen. Doch aller Menschengeist ist klein, dabei keine Rolle spielend, ob bei Erwachsenen oder Kindern. Im Weltall verliert er sich wie ein winziges Insekt. Solcher «Ameisenverstand» reicht bei weitem nicht aus, die ganze wirkliche Wahrheit zu erfassen und zu begreifen.»
Weiter hatte Church die Menschheit wissen lassen, dass es «Santa Claus» so gewiss gäbe, wie es auch die Liebe, Grossherzigkeit und die Treue gäbe. Der Mensch wisse, dass all das existiere, obwohl man es nicht sehen und verstehen könne.
Kein Mensch sähe «Santa Claus» einfach so. Doch das beweise gar nichts. Was auch immer der Mensch sähe, er würde nie alles sehen können. Es gäbe einen Schleier, der die ganze wahre Welt verhülle, einen Schleier, den nicht einmal die grösste Gewalt auf der Welt zerreissen könne. Nur Glaube, Phantasie und Liebe würden ihn lüften können.
Wieder an Virginia gewandt, meinte Church: : «Ob das dann auch alles wahr ist, magst du dich fragen. Virginia, nichts auf der ganzen Welt ist wahrer und nichts beständiger. Der Weihnachtsmann lebt, und er wird ewig leben. Sogar in zehn Mal zehntausend Jahren wird er da sein, um Kinder wie dich und jedes offene Herz mit Freude zu erfüllen.
JA, VIRGINIA, ES GIBT EINEN WEIHNACHTSMANN.
Der Artikel war für viele Menschen sehr bewegend. Mehr als ein Jahrhundert später wird der Artikel immer noch nachgedruckt und den aktuellen Zeitungen beigelegt. Auch Virginias Brief und die Antwort von Church werden alljährlich in einer Zeremonie an der Columbia University (New York) vorgelesen.
Virginia bekam ihr Leben lang Post aus aller Welt. Sie fügte ihren Antworten stets eine Kopie des Artikels bei. In einem Interview in ihrem späteren Leben erklärte sie, dass allein dieser Artikel ihr Leben äusserst positiv geformt habe.
Ich hoffe sehr, dass die Ihnen bevorstehenden Festtage doch die eine oder andere Gelegenheit bieten, um vielleicht manche Dinge mit der obigen Geschichte zu reflektieren.
Frohe Adventszeit.