Lostorf auf dem Weg zur Energiestadt-Gemeinde
Angenehme Veränderungen und Fremdbestimmung
Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung- Die Welt, die Schweiz, die Gemeinde, du, liebe Leserin, lieber Leser, und ich. Aber nicht jede Veränderung ist gleich. Es gibt viele Situationen, in welchen wir kaum merken, wie stark wir uns verändert haben – es passiert fast unbemerkt. Aber es gibt auch Veränderungen, da sträubt sich jedes noch so kleine Härchen in uns. Wie kommt das? Wieso kann es nicht nur angenehme Veränderungen geben? Angenehme Veränderungen sind solche,
die wir aktiv wollen und uns nicht aufgezwungen werden. Wenn es also um unausweichliche Veränderungen in der Gemeinde Lostorf geht, können wir dem zuvorkommen, indem wir die Veränderung einfach mitgestalten. Um das zu erreichen, braucht es einen gemeinsamen Plan, der mit fachlich geprüften und konkreten Massnahmen bestückt ist. Für die Entwicklung der Gemeinde ist nun diese wichtige Voraussetzung durch das Projekt der Energiestadt gegeben. Dafür hat sich der Gemeinderat Ende 2022 ausgesprochen. Was steckt hinter diesem Prozess zur Energiestadt und was ist überhaupt eine Energiestadt? Diese Fragen beantwortet dir die Arbeitsgruppe «Energiestadt» in diesem Beitrag.
Was ist eine «Energiestadt-Gemeinde»?
Auf der Webseite des Trägervereins Energiestadt wird das Prinzip der Energiestadt wie folgt beschrieben: «Eine Energiestadt ist eine Gemeinde oder Stadt, die sich kontinuierlich für eine effiziente Nutzung von Energie, den Klimaschutz und erneuerbare Energien sowie umweltverträgliche Mobilität einsetzt. Dafür erhält sie (die Gemeinde) vom Trägerverein Energiestadt alle vier Jahre das Label verliehen.» In der Schweiz haben sich bislang 660 Gemeinden dem Trägerverein angeschlossen, wovon bereits 460 das Label Energiestadt tragen. In diesen verifizierten Energiestadt-Gemeinden leben rund 60% der Schweizer Bevölkerung. In den letzten 30 Jahren, seit der Gründung des Trägervereins, hat sich ihre Überzeugung in der gesamten Schweiz und Europa weit verbreitet, was zu vielen positiven Auswirkungen für die Gemeinden, die Lebensqualität und das Klima geführt hat.
Der Energiestadt-Prozess
Eine Energiestadt-Gemeinde durchläuft einen fortlaufenden, sich alle vier
Jahre wiederholenden, Prozess über vier Phasen, der einem Qualitätsmanagement-System gleichkommt. Dieser wird von einer akkreditierten, also speziell ausgebildeten, Energiestadt-Beratungsperson begleitet und gliedert sich wie folgt.
In der Phase 1 der Bestandsaufnahme wird Lostorf bezüglich den sechs Wirkungsbereichen von Energiestadt (Entwicklungsplanung /Raumordnung, Kommunale Gebäude und Anlagen, Versorgungen und Entsorgungen, Mobilität, interne Organisation der Gemeinde, Kooperationen und Kommunikation) gründlich unter die Lupe genommen. Durch mehrere Interviews mit der Gemeindeverwaltung wird der «Puls» der Gemeinde erspürt und anhand eines Massnahmenkatalogs Detailfragen gestellt. Die Antworten werden mit konkreten Belegen einer Bewertung und Potenzialanalyse unterzogen, was am Ende eine Punktzahl ergibt. Ist dann die Hälfte der für diese Gemeinde möglichen Punkte überschritten, ist die erste Bedingung für eine Zertifizierung erfüllt.
Als nächstes werden in der Phase 2 messbare energiepolitische Ziele sowie ein Aktivitätenprogramm erarbeitet. Erstere sind grob definierte, auf Lostorf zugeschnittene, strategische Ziele. Letzteres
beinhaltet konkrete Massnahmen mit Terminen, Budgets und Zuständigkeiten für die nachfolgende Umsetzungsphase. Diese Massnahmen gelten dann als beschlossen und zählen zur Punktzahl für die Zertifizierung. Mit dem Abschluss der Bestandsaufnahme zeigt sich, wo die Gemeinde Lostorf gemäss den Bewertungskriterien von «Energiestadt» steht. Sind nun die Voraussetzungen der Phase 1 und 2 erfüllt, kann die Gemeinde ihr Dossier beim Trägerverein zur Zertifizierung eingeben, welche nach ausgiebiger Prüfung der vorgelegten Dokumente erfolgt.
Daraufhin startet die Phase 3, in der die vom Gemeinderat beschlossenen Aktivitäten umgesetzt werden. Je nach Art und Umfang dieser Aktivitäten erfordert dies immer wieder die Zustimmung durch den Souverän, also die Einwohnerinnen und Einwohner Lostorfs. Diese Phase dauert in jedem Durchlauf des Energiestadt-Prozesses vier Jahre. In Phase 4 wird nach vier Jahren eine Art «Bilanz» gezogen und der nun aktuelle Stand entsprechend der sechs Wirkungsbereiche von Energiestadt erneut ermittelt. Ob die Gemeinde den Prozess für weitere vier Jahre durchlaufen und sich so weiterentwickeln soll, entscheidet
die Gemeinde von sich aus.
Wirkungsbereiche
Wer schon mehr über die Energiestädte erfahren hat, weiss, dass es um viel mehr als nur «Energie» geht. Im Verlauf des Energiestadt-Prozesses wird die Gemeinde nahezu ganzheitlich in sechs breitgefächerten
Wirkungsbereichen betrachtet, analysiert und weiterentwickelt.
Bei der Entwicklungsplanung und Raumordnung werden die strategischen Werkzeuge der Gemeinde unter die Lupe genommen. Das kann von einem Energiekonzept über das Baureglement bis hin zu einer kommunalen Regelung der öffentlichen Submissionen reichen.
Es werden alle kommunalen Gebäude und Anlagen auf ihre heutige Energieversorgung und -verbräuche beurteilt. Zudem ist massgebend, wie in Lostorf zukünftig Gebäude saniert und/oder gebaut werden sollen.
Auch die Ver- und Entsorgung ist eingebunden. Nebst dem Umgang mit unserem Abfall (auch als Wertstoff) beinhaltet dieser Wirkungsbereich die nachhaltige Versorgung mit Trinkwasser sowie das Abwassersystem. Aber auch die Energieversorgung, die kommunale Zusammenarbeit mit der «Primeo Energie» und die Entwicklung erneuerbarer Energien finden hier Platz. Die Vielfalt der Mobilität, früher nannte man das Verkehr, wird auch untersucht. Dazu stellen sich Fragen wie die Qualität des ÖV-Anschlusses in Lostorf, welches Tempo-Regime im Dorf herrscht, wie die lokale Güterversorgung gewährleistet ist oder wie gut das Strassennetz auf klimaschonende Velofahrer- und FussgängerInnen ausgerichtet ist.
Ein genauer Blick wird auch auf die interne Organisation der Gemeindeverwaltung geworfen. Welche Ressourcen stehen der Umwelt- und Klimapolitik zur Verfügung und werden diese zielgerichtet eingesetzt? Werden MitarbeiterInnen in wichtigen Themen weitergebildet? Auch die Digitalisierung der
Verwaltung spielt eine Rolle.
Letztlich geht es auch um Kooperation und Kommunikation der Gemeinde. Die Nutzung von Synergien über die Grenzen der Gemeinde hinaus und die Kommunikation gegenüber uns Lostorferinnen und Lostorfern sollen ein Thema sein. Oder wie unser Gemeindepräsident, Thomas A. Müller, dem Oltner
Tagblatt gegenüber bereits sagte: «Hier geht es nicht darum, uns selber auf die Schulter klopfen zu können. Wir wollen im Zuge der Energiediskussion einen Schritt weitergehen. Die Gemeinde soll eine Vorreiterrolle einnehmen und dadurch auch andere motivieren, mehr zu tun.»
Kosten
Da es hier natürlich um Steuergeld geht, sind alle Kosten öffentlich und werden auch transparent kommuniziert. Die Energiestadt-Beratung beläuft sich auf CHF 17’800.-, wobei Kanton und Bund rund CHF 10’000.- übernehmen. Die Gemeinde zahlt also lediglich CHF 7’800.- für die Phasen 1 und 2 sowie die
Zertifizierung.
Zusätzlich wird für die Bauverwaltung eine Energiebuchhaltung aller gemeindeeigenen Bauten und Anlagen eingerichtet. Nebst deren unbestrittenem Nutzen, führt dies zu einmalige, Kosten von rund CHF 3’500.- zur Aufarbeitung aller Daten und der Einführung in die Software. Zusammengerechnet sind das Initialkosten von rund CHF 11’300.-. Wiederkehrende Kosten belaufen sich jährlich auf CHF 1’900.- für die Mitgliedschaft im Trägerverein und die Lizenz der Software für die Energiebuchhaltung.
Weitere, zusätzliche Kosten fallen in diesem Sinn nicht an, denn bei den umzusetzenden Aktivitäten geht es immer um Kosten, welche die Gemeinde sowieso aufwenden muss und zu welchen der Souverän das letzte Wort hat. Zum Beispiel für die Sicherstellung der Ver- und Entsorgung, den kommunalen Gebäuden und all den anderen oben erwähnten Wirkungsbereichen.
Wie kam Lostorf dazu, Energiestadt zu werden?
Im Frühling 2022 hat der Gemeinderat im neuen Leitbild «Lostorf 2035» seine Vision eines zukunftsorientierten Dorfes verabschiedet. Diese Vision beinhaltet zum einen den Schutz von Lostorfs bestehender Umwelt und unseres Lebensraums. Dazu sollen Biodiversität und Grünflächen auf dem Gemeindegebiet sowie erneuerbare Energien mit ökologischen Projekten gefördert werden.
Um diese weitreichenden Leitziele erfüllen zu können, braucht es eine solide und langfristige Umwelt- und Klimapolitik. Dazu hat sich der Gemeinderat im Rahmen der aktuellen Legislatur für Lostorf das Ziel gesetzt, Energiestadt zu werden und mit der Vergabe der Energiestadt-Beratung den Prozess dazu gestartet. In einer Publikation in der Presse (Bericht OT, vom 13.01.2023) erklärte die Gemeindeführung auf Anfrage zusätzlich die Wichtigkeit und Richtigkeit dieses Entscheids für Lostorf und Umgebung.
Was bringt der Energiestadt-Prozess?
Das Ziel und der Auftrag der Arbeitsgruppe ist es, mit dem Energiestadt-Prozess die Entwicklung des Dorfes in einen langfristigen Rahmen zu setzen. Sie soll den heutigen und zukünftig immer wichtiger werdenden Themen wie der Energieversorgung, der Anpassung an die Klimaveränderung und dem schonenden Umgang mit Ressourcen Rechnung tragen. Das übergeordnete Ziel ist dabei stets, Lostorf lebenswert zu erhalten und die Kosten dafür im Griff zu haben.
Um dies zu erreichen, ist es wichtig, Entscheide im Bewusstsein dieser neuen Themen zu fällen, um zukünftige Mehrkosten zu vermeiden. Doch was könnte das konkret für Lostorf bedeuten? Versuchen wir das anhand dreier Beispiele zu veranschaulichen.
Wird beim Umbau eines Gebäudes auf eine energetische Sanierung Wert gelegt und gar mit dem Ausbau zur Energieproduktion verbunden, kann teure Energie gespart und mit Erlös eingespeist werden. Das vermindert bei initial höheren Investitionskosten sofort die Betriebs- und Unterhaltskosten und die CO2-Emissionen. Mittel- bis langfristig wirkt sich das dann positiv auf die Gesamtkosten aus.
Oder man kann sich bei der nächsten Anschaffung eines Gemeindefahrzeugs 12 | | 13 bewusst für die elektrische Variante entscheiden, die im Betrieb mittelfristig günstiger und umweltschonender ist. Das ist besonders effektiv in Kombination mit dem Ausbau der gemeindeeigenen Stromerzeugung.
Auch die konsequente Ausstattung des Bachufers mit Bäumen (anlässlich des aktuellen Hochwasserschutz-Projektes im Dorf) wird uns zukünftig in den heisser werdenden Sommermonaten eine
willkommene Abkühlung bieten.
In diesem Bewusstsein und einem vorausschauenden Aktivitätenplan können wir ein besseres Lostorf gestalten. Das heisst nicht, dass Lostorf bis anhin nichts getan hat – es bestehen bereits viele gute Engagements und Projekte. Momentan werden solche Überlegungen jedoch bei jedem Geschäft immer wieder aufs Neue diskutiert und echte, gewinnbringende Massnahmen sind nur punktuell und auf einzelne Geschäfte verstreut.
Hier wird der Energiestadt-Prozess die Entwicklung gezielt unterstützen und verbessern. So wird das Bewusstsein für Gesamtkosten und Nachhaltigkeit die Regel und nicht die Ausnahme. Massnahmen können so koordinierter und zielgerichteter entschieden und umgesetzt werden. Wo nötig, können wir uns sowohl auf breites Fachwissen des Trägervereins abstützen, als uns von den vielen Beispielen anderer Gemeinden inspirieren lassen. So bestimmen wir proaktiv über den Weg zu den gesetzlich festgelegten Klimazielen 2050 und warten nicht darauf, dass uns die nächsthöhere Stelle sagt, was wir wie zu tun haben. Damit schaffen wir angenehme Veränderungen für Lostorf.
Wo steht Lostorf im Prozess und wie geht es weiter?
Mit dem Eintritt in den Trägerverein Energiestadt im Sommer 2022 führten erste Kontakte mit Energiestadtberatern im Dezember 2022 zur Wahl von Herrn Stephan Lingenhel für die Begleitung von Lostorf von der Bestandsaufnahme bis zur Erstzertifizierung. Die anstehenden Arbeiten werden von der
dazu gegründeten Arbeitsgruppe geführt und von Mitgliedern der Bau- und Umweltkommission sowie engagierten, fachlich versierten Personen aus dem Dorf und der Verwaltung unterstützt. Zurzeit läuft die Bestandsaufnahme, die bis Ende Sommer 2023 dem Gemeinderat präsentiert werden soll. Anschliessend wird bis Ende Jahr im Rahmen der zweiten Phase des Energiestadt-Prozesses eine vertiefte Diskussion über geeignete weiterführende Aktivitäten geführt werden.
Nach der Präsentation der Bestandsaufnahme gegenüber dem Gemeinderat möchte die Arbeitsgruppe die Findung besagter Massnahmen auch auf die Bevölkerung ausweiten. Wir werden anlässlich des Lostorfer Dorfmäret am 09.09.2023 über erste Resultate informieren und Wünsche, Eindrücke, Fachwissen und Engagements auch von dir, liebe Lostorferin, lieber Lostorfer, entgegennehmen.
Mitwirkung herzlich erwünscht und willkommen
Gerne stützt sich die Arbeitsgruppe auch anderweitig auf Personen aus dem Dorf ab, die interessiert sind, den Prozess zur Energiestadt zu unterstützen.
Dazu kann man sich entweder direkt an den zuständigen Gemeinderat wenden (michael.mollet@lostorf.ch), oder aber für den Lostorfer Energiestadt-Newsletter einschreiben. Das geht über folgenden Link: mailchi.mp/8fd914ec3da5/energiestadt-lostorf.
Vielen Dank, dass du dich für das Thema interessierst und bis bald!