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Das Lostorfer Gemeindemagazin

SCHWIERIGE ZEITEN IN LOSTORF

Luftbild Lostorf

Seit über einem Jahr gelingt es einem Virus, das Leben auch in Lostorf in vielen Bereichen wesentlich zu verändern. Schwierige Zeiten!

Davon handelt dieser Bericht aber nicht. Vielmehr geht es um eine Zeit, die acht oder neun Jahrzehnte zurück liegt. Die Rede ist von den Jahren vor und während des zweiten Weltkrieges. Während in weiten Teilen unserer Nachbarstaaten grosse Not und riesiges Elend herrschten, wurde die Schweiz vom direkten Kriegsgeschehen verschont. Trotzdem war das tägliche Leben auch in unserem Land durch den Krieg massiv beeinflusst und nicht immer einfach.

Unser Mitbürger Josef Peier-Soland war bei Ausbruch des 2. Weltkrieges zehn Jahre alt. Er hat diese Zeit sehr bewusst erlebt. Nun hat er seine Einrücke und Erlebnisse in einer Broschüre festgehalten.

Mit seiner Einwilligung veröffentlichen wir in dieser Ausgabe einige gekürzte Ausschnitte aus seinen persönlichen Erinnerungen:

Vor dem Krieg
Unsere Familie wohnte in der «Büechle» im Bauernhaus der Familie Giger, also etwas abseits des Dorfes. Mein Vater war der «Büechle-Sepp» und meine Mutter «s’Hebamme Sopheli».

Bereits anfangs der 30er Jahre, und erst recht nach der Machtübernahme Hitlers 1933, wusste man offenbar in der Schweiz, was in Deutschland abging. Man wusste, dass Juden und andere Völkergruppen ausgerottet werden sollten. Informiert wurde durch Radio Beromünster und die Presse.

Beim Coiffeur Maritz in Lostorf (genannt Karasi) arbeitete in dieser Zeit eine deutsche Coiffeuse. Sie hiess Berta Schönmann und war jüdischer Abstammung. Sie kam hie und da wegen Näharbeiten zu meiner Mutter. Eines Tages verabschiedete sie sich von uns. Ihre Eltern hätten geschrieben, sie solle möglichst schnell nach Hause kommen, sie würden umgesiedelt. Frau Schönmann und wir wussten, was «umsiedeln» hiess, nämlich Marsch ins Konzentrationslager. Meine Mutter riet ihr, hier zu bleiben, aber Frau Schönmann blieb fest. Sie wollte ihre Eltern nicht im Stich lassen und reiste ab. Wir hatten Bedauern mit ihr, bewunderten aber ihren Mut. Trotz diversen Nachforschungen über Botschaft, Rotes Kreuz, usw., hörten wir von Frau Schönmann nie mehr etwas.

Die Generalmobilmachung
Am 29. August 1939 bot der Bundesrat den Grenzschutz auf und die Bundesversammlung wählte Oberkorpskommandant Guisan zum General und damit zum Oberkommandierenden der Armee.

Das veränderte natürlich das Leben in Lostorf. Überall fehlten die Männer, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch im Gewerbe, in den Vereinen, im gesellschaftlichen Leben, usw. Sehr viel lastete plötzlich auf den Frauen. Meine Mutter, zum Beispiel, ersetzte vorübergehend meinen Vater am Arbeitsplatz in der Mineralquelle Lostorf, oder wie man damals sagte, in der Wasserfabrik. Am Abend und in der Nacht arbeitete sie als Damenschneiderin und daneben besorgte sie den Haushalt. Meine Schwester und ich halfen ihr, was wir konnten. Auch wir Kinder bekamen neue Aufgaben, vor allem in der Landwirtschaft. Nach der Schule mussten wir immer zuerst die Schulaufgaben erledigen und anschliessend wurden wir im Landwirtschaftsbetrieb des Hausbesitzers Giger eingesetzt. Im Frühling hiess es, Kartoffeln zu setzen, und im Herbst dann zu ernten. Erwartet wurde auch die Mithilfe beim Grasen, beim Heuen, bei der Fruchternte, sowie beim Kirschen-, Zwetschgen- und Äpfel pflücken. Im Spätherbst mussten die Runkeln gereinigt und eingebracht werden.

Ich musste sogar das Melken lernen. Beim Dreschen musste ich die Garben durch ein grosses Loch in der Decke direkt auf die Dreschmaschine hinunterwerfen. Beim Ergreifen der letzten Garben kamen immer Rattennester zum Vorschein. Weil diese Viecher beim Flüchten gerne an meinen Beinen hinaufkletterten, trug ich immer Stiefel und bewaffnet war ich mit einem alten, abgenutzten Besen.

Auch den Grosseltern im Dorf musste ich hie und da helfen, vor allem beim Grasen um vier Uhr morgens und beim Heuen. Beim Ackern musste ich mit dem Traktor fahren und zwar ganz exakt immer mit zwei Rädern in einer Furche. Onkel Gusti begleitete dann den Pflug und kehrte ihn an den Grundstückgrenzen wieder und ich musste den Traktor wenden.

Rationierung
Eine sehr grosse Bedeutung kam der Kriegswirtschaft zu. Gemäss dem «Plan Wahlen» wurde die so genannte Anbauschlacht begonnen.

Das war auch in Lostorf so. Die Firma Wenk aus Olten bewirtschaftete mit ihrer Belegschaft die ganze «Wacht». Sie baute sogar die Wachthütte und schenkte diese nach Kriegsende der Bürgergemeinde Lostorf. Im «Buerwald» wurde auch gerodet. Die Firma Bally bewirtschaftete diese Fläche.

Rationiert wurde mit Ausnahme von Kartoffeln und Gemüse fast alles. Jeden Monat konnten wir bei Sigmund Maritz im Oberdorf die Karten mit den «Märkli» holen, die nachher beim Einkaufen abgetrennt werden mussten.

(Die meisten Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs konnte man nur mit Geld und Rationierungsmarken erwerben. Mit diesem System wurden Hamsterkäufe unterbunden und die noch vorhandenen Produkte einigermassen gerecht auf die Bevölkerung verteilt. – Anm. der Red.) Brot musste zum Verkauf drei Tage alt sein.

Obwohl auch das Fleisch rationiert war, gab es hie und da in den Metzgereien solches ohne Marken. Wenn ein Landwirt eine Kuh notschlachten musste, rief das der Dorfwächter Gottfried Henzmann auf verschiedenen Plätzen im Dorf nach ein paar Hornstössen aus.

Eine wichtige Änderung gab es beim Kauf von Milch. Man konnte nicht mehr direkt bei den Bauern Milch kaufen. Wir Nutzer mussten die Milch in der Milchhütte holen. Dazu konnten wir bei der Familie Mollet so genannte Milchmarken kaufen. Das waren Jetons, ungefähr so gross wie Einfrankenstücke. Sie hatten den Wert von einem Liter Milch.

Am meisten entbehrten wir Kinder Süssigkeiten, wie z. B. Schokolade oder Schleckereien. Weil die Lust nach Schokolade so gross war, bedienten wir uns einmal in der Schule an der Büchse mit den so genannten Kropftabletten, die süss schmeckten. Der Lehrer war im Militärdienst und der Stellvertreter hatte die Büchse nicht gut versteckt. Nach der Rückkehr des Lehrers wurde der Diebstahl festgestellt und aus Angst vor einer Jodschädigung mussten wir alle beim Schularzt zur Untersuchung antraben!

Josef Peiers Aufzeichnungen geben Einblick in die Verhältnisse einer Zeit, die sich heute vor allem die jüngere Generation kaum mehr vorstellen kann.

Der Autor verknüpft seine persönlichen Erinnerungen mit den damaligen Abläufen in der Schweiz und in Europa. Es gelingt ihm, Lokalhistorisches in einen umfassenderen Kontext zu stellen und aufzuzeigen, was zur damaligen Zeit passierte.

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